zum Inhalt springen

zur Navigation springen

Gemeinschaft zur Förderung von Pflanzeninnovation e. V.

Die Bedeutung der Erkenntnisse Gregor Mendels für die Pflanzenzüchtung

von:

Michael Mielewczik1, Johann Vollmann2, Janine Moll-Mielewczik3, Michal Simunek4 & Uwe Hossfeld5
1 Agroscope Tänikon, Ettenhausen, Schweiz
2 BOKU, Institut für Pflanzenzüchtung, Wien, Österreich
3 Agroscope Reckenholz, Zürich, Schweiz
4 Institut für Zeitgeschichte, Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag
5 AG Biologiedidaktik, Universität Jena, Deutschland
Vor 200 Jahren wurde der Naturforscher und Augustinermönch Gregor Johann Mendel (1822–1884) im schlesischen Heinzendorf geboren. An seiner späteren Wirkungsstätte in der mährischen Hauptstadt Brünn, wo man dieses Jubiläum heuer in einer großen Feier zelebrierte, arbeitete Mendel über viele Jahre im Klostergarten des dortigen Augustinerklosters an der Erforschung von Pflanzenhybriden. Seine Untersuchungen legten nicht nur einen wichtigen Grundstein in der Etablierung einer neuen Forschungsrichtung, welche später unter dem Namen Genetik bekannt werden sollte, sondern hatte auch einen nachhaltigen Einfluss auf die weitere Entwicklung und Transformation der Pflanzenzüchtung und somit der Landwirtschaft als solcher.

Die Entdeckung der Mendelschen Regeln

Zu den wichtigsten Erkenntnissen Mendels, die er vor allem bei Kreuzungsversuchen mit Erbsen erhielt, zählen die von ihm entdeckten Mendelschen Regeln (Uniformitätsregel, Spaltungsregel und Unabhängigkeitsregel). Auf Basis statistischer Auswertungen untersuchte er Pflanzen, die sich in einem, später auch in mehreren, diskreten bzw. dichotomen Merkmalen voneinander unterscheiden und klassifizieren ließen. In den folgenden Generationen, die aus Kreuzungen hervorgingen, ermittelte er so jeweils typische Verhältnisformeln. Zudem beschrieb er das Auftauchen von dominanten und rezessiven diskreten Merkmalen, die sich aus inneren Faktoren in ihrer sichtbaren Ausprägung herleiteten. Um dies zu verdeutlichen, etablierte er ein auf Buchstaben basierendes Kombinatoriksystem, mit dessen Hilfe sich die Weitergabe solcher genetischer Informationen und deren statistische Verteilung auf die jeweiligen Tochtergenerationen theoretisch darstellen ließen. Die Ergebnisse seiner Versuche an Erbsen und Bohnen stellte Mendel zunächst im Februar und März 1865 auf zwei Vorträgen im Naturforschenden Verein in Brünn vor. Eineinhalb Jahre später, verzögert durch den Einmarsch der Preußen in Brünn und eine darauf folgende Cholera-Epidemie, veröffentlichte er seine Abhandlung, die er zunächst als Manuskript in Reinschrift ausgefertigt hatte, in den Verhandlungen des Vereins (Mendel, 1866).

Bastardisierung vor und nach Mendel

Kreuzungen (Bastardisierungen) wurden mit unterschiedlicher Zielsetzung bereits lange vor Mendel durchgeführt. Viele dieser Experimente wurden von Carl Friedrich von Gärtner (1849) in einem Kompendium zusammengefasst, das auch Gregor Mendel kannte und zitierte. Auch die von Mendel genutzte Technik der künstlichen Befruchtung war schon lange bekannt und insbesondere bei Ziergärtnern weit verbreitet. In der praktischen Pflanzenzüchtung des 19. Jahrhunderts stand dagegen vor allem die Auslesezüchtung (i. e. Selektion von Einzelpflanzen aus Landsorten) im Vordergrund, da die nach Kreuzungen auftretende Variabilität zumeist nicht als zu Konstanz führend und nützlich interpretiert wurde (Schulze, 2010). Mendel war sich dieser Problematik sehr wohl bewusst. Aus einem damals gerade erschienenen Buch über Weidenhybriden (Wichura, 1865) scheint er den Begriff der „constant differirenden Merkmale“ übernommen und in dem von ihm beschriebenen Versuchsdesign aufgenommen zu haben (Mendel, 1865, S. 7; Mielewczik et al., 2022a & 2022b). Ohne Kenntnis der Mendelschen Vererbungsregeln führten Pflanzenzüchter des späten 19. Jh. wie Wilhelm Rimpau (1856–1936), William J. Farrer (1845–1906), William J. Spillman (1863–1931) oder Pehr Bolin (1865–1943) bereits vermehrt Kreuzungen durch und beschrieben die Uniformität der F1-Generation, Aufspaltung in der F2-Generation („variable Generation“) sowie Unabhängigkeit und Neukombination von Merkmalen (Vollmann & Grausgruber, 2017). Mendels herausragende Leistung war jedoch die statistische Methodik, mit welcher er das Vorhandensein derartiger Regeln belegte und didaktisch erklärte.

Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln

Zu seinen Lebzeiten haben Mendels Versuche zur Vererbung, jedenfalls außerhalb seiner Heimatstadt Brünn, nur begrenzt Aufmerksamkeit erlangt. In das Pantheon der großen Naturforscher wurde Gregor Mendel erst aufgenommen, als drei Botaniker, Erich Tschermak (1871–1962), Hugo de Vries (1848–1935) und Carl Correns (1864–1933), übereinstimmende Kreuzungsergebnisse u. a. bei Erbsenpflanzen erzielten und im Jahr 1900 auch auf die Arbeiten Gregor Mendels stießen (Hossfeld et al., 2017; Simunek et al., 2017a & 2017b). Dieser Vorgang wurde bald als „Wiederentdeckung“ in der Wissenschaftsgeschichte verankert, wobei auch die Mendelschen Regeln in der heute bekannten Form erstmals ausformuliert wurden. Durch die daraus hervorgehende Popularisierung der Person Gregor Mendels etablierte sich im öffentlichen Bewusstsein auch bald die Idee eines verkannten Genies, dessen Bedeutung von seinen Zeitgenossen nicht beachtet wurde und dessen Arbeiten erst in einen „Dornröschenschlaf“ fallen mussten, bevor ihnen die nötige Beachtung zuteilwurde (Goldschmidt, 1922, S. 631; Mielewczik et al., 2017). Hieraus entstand aber schon bald die Frage, ob Mendels Arbeit zu dessen Lebzeiten einfach weitest unbekannt geblieben bzw. aktiv ignoriert worden ist (Bowler, 1989). Tatsächlich lässt sich diese Darstellung bis in die früheste Phase der Wiederentdeckung zurückverfolgen. Dem Wiederentdecker Carl Correns war im Jahr 1900 beispielsweise nur ein einziger Text bekannt (Focke, 1881), der Mendels Arbeit vor 1900 zitiert hatte (Mielewczik et al., 2017). Heute weiß man, dass hierdurch partiell ein falscher Eindruck entstanden ist, denn zumindest in seiner Heimatstadt Brünn wurden Mendels Kreuzungsversuche schon in den 1860er Jahren kontrovers (u. a. im Kontext des aufkeimenden Darwinismus und Materialismus) diskutiert (Mielewczik et al., 2017; Van Dijk et al., 2018; Mielewczik et al., 2022a & 2022b). Der Inhalt eben dieser Diskussionen ist jedoch nur bruchstückhaft aus einigen kurzen Zeitungsartikeln bekannt. Daraus lassen sich aber dennoch einige neue Erkenntnisse zur zeitgenössischen Kritik, die Mendel damals erfahren hat, ableiten. Während seiner Vorträge wurde Mendel wohl beispielsweise hingehend der Auswahl seiner Versuchspflanzen kritisiert und anonym wurde dahingehend Kritik geäußert, dass Mendel die ökonomische Relevanz seiner pflanzenzüchterischen Versuche wohl überschätzte (Van Dijk et al., 2018). Ein weiterer Kritikpunkt, welcher vom Eisenbahn-Expeditor und Botaniker Johann Nepomuk Bayer (1802–1870) vertreten wurde, bezog sich auf das von Mendel vertretene Konzept der Dominanz, welche Bayer fundamental anzweifelte (Mielewczik et al., 2022a & 2022b). Ironischerweise war es aber möglicherweise gerade diese Kritik Bayers (Bayer, 1869), die letztendlich dazu führte, dass auch Wilhelm Olbers Focke (1834–1922) Mendel in seinem Buch „Die Pflanzen-Mischlinge“ (1881) zitiert hat. Eben jenes Werk also, über das letztendlich mehrere der Wiederentdecker auf Mendels Arbeit gestoßen sind (Mielewczik et al., 2017). Auch außerhalb Brünns finden sich verschiedene Verweise und Zitate auf die Erbsenversuche Mendels, und schon 1867 erfolgte ein lange unbekannt gebliebener, gekürzter Nachdruck seiner Veröffentlichung zu Pflanzenhybriden in einem Bamberger Wochenblatt, aus dem jedoch alle mathematischen Details entfernt worden waren (Orel, 1966; Weiling, 1966; Olby & Gautrey, 1968; Mielewczik et al., 2017).

Anfänge von Mendels Experimenten

Da Gregor Mendels Nachlass nur in Bruchstücken überliefert ist, war lange Zeit wenig über die Anfänge seiner Versuche bekannt. Zwar wusste man, dass er schon seit spätestens 1854 mit Erbsen gearbeitet hat und in dieser Zeit auch einen Bericht über den Erbsenkäfer Bruchus pisi verfasste; über seine eigentlichen Versuchsideen zu Beginn seiner Versuche konnte dagegen nur spekuliert werden. Die bereits erwähnten Zeitungsberichte aus den frühen 1860er Jahren belegen nun, dass es Mendel in der Tat um pflanzenzüchterische Bestrebungen und Anbauversuche von Kulturpflanzen gegangen ist (Van Dijk et al., 2018). Die zeitgenössischen Berichte sprechen dabei selbst davon, dass es sich hierbei, ganz im damaligen Zeitgeist, um Akklimatisierungsexperimente gehandelt hat, bei welchen es immer darum ging, Kultursorten aus fremden Ländern an lokale Gegebenheiten anzupassen. Dies passt durchaus zu den Anbauversuchen im Kloster, von denen man heute Kenntnis hat, denn neben zahlreichen Experimenten mit Zierpflanzen führte Mendel auch Anbauversuche mit einer ganzen Reihe verschiedener fremdländischer Kulturpflanzen durch. Beispielsweise mit Kürbissen, Mais, neuseeländischem Spinat, Riesenhanf, Topinambur oder Wasserreis (Mielewczik et al., 2022a). Hierzu passt auch Mendels bekanntes Interesse an Meteorologie, das dieser wiederholt mit Agrarthemen zu verbinden gesucht hat, beispielsweise im Rahmen von phänologischen Erhebungen, die beispielsweise auch für die Ermittlung von temperaturabhängigen Wachstumskonstanten verschiedener Pflanzenarten genutzt wurden (siehe dazu Mielewczik et al., 2022a). Letzteres Argument führt im Übrigen wieder zurück zu Mendels ursprünglichen Versuchen an Erbsen, denn während Mendel in seinem finalen Artikel Untersuchungen von sieben dichotomen Merkmalen beschrieb, überging er mit dem Blütezeitpunkt der Erbsen zumindest ein weiteres achtes Merkmal, an welchem er ebenfalls Interesse hatte. Es ist durchaus denkbar, dass dieses Merkmal ursprünglich als erstes untersucht wurde, um einen potenziellen Schutz gegen den Erbsenkäfer zu liefern. Ähnliches, in Form eines späteren Anbaus, hatte Mendel schon 1853 zum Schutz des „Rettigs“ (Rettich) gegen Botys margaritalis vorgeschlagen (Mendel, 1853), und tatsächlich gab es in Mähren wenige Jahre später ein Feldexperiment mit Erbsen unter veränderten Anbauzeiten, um diese gegen den Erbsenkäfer zu schützen (Mielewczik, 2017).

Gregor Mendel und die Individualauslese

Unstrittig ist, dass ab 1900 neue Erkenntnisse in der Zellbiologie (wie beispielsweise die Entdeckung der Chromosomen und die Beschreibung der Zellteilung) sowie der wiederholte Nachdruck seiner Artikel bei der Popularisierung der Mendelschen Regeln und der Person Gregor Mendels eine wichtige Rolle eingenommen haben. Sowohl die Genetik als auch die Pflanzenzüchtung konnten sich so auf eine neue Galionsfigur berufen. Für die Entwicklung der Pflanzenzüchtung hatte dies auch abseits der eigentlichen züchtungstechnischen und biologischen Neuerungen eine große Bedeutung. Zum einen durch die Einrichtung landwirtschaftlicher Versuchsstationen, vielfach auch im direkten Dienst der Pflanzenzüchtung, zum anderen, da sich hierdurch auch direkt neue Aufgabenfelder und Jobs ergaben, sodass sich einzelne pflanzenzüchterische Schulen etablieren konnten. Gerade in der Frühzeit der Genetik nach 1900 war es übrigens nicht immer ganz leicht zu erkennen, wie sich die Vorgehensweisen der nun errichteten Stationen der Pflanzenzüchtung im Detail von den Züchtungsansätzen des vorangegangenen Jahrhunderts unterschieden. Schon den frühen, von Mendel beeinflussten Pflanzenzüchtern nach 1900 war beispielsweise bewusst, dass es durchaus eine thematische Überlappung von diskreten Einzelmerkmalen und Einzelauslese gab. Hugo Iltis, der die erste umfassende Biografie Mendels vorgelegt hat, berichtete darin beispielsweise davon, dass Mendel von frühen internationalen Pionieren der Individualzucht wie Louis Vilmorin (1816–1860) und Frederic Hallett (1831–1901) keine Kenntnis gehabt haben kann (Iltis, 1924, S. 202; Fruwirth, 1910): „… Freilich hat Mendel davon keine Kunde haben können. Denn die Prinzipien, die Vilmorin 1856 in der Société industrielle d’Angers mitgeteilt hat, sind damals nicht in die weitere Öffentlichkeit gedrungen und wurden erst viel später (1886) publiziert.“ Indes ist diese Darstellung mit allergrößter Wahrscheinlichkeit falsch: Im Sommer 1862 reiste Mendel als Delegierter der österreichisch-habsburgischen Gesandtschaft über Paris zur Internationalen Industrieausstellung nach London (Van Dijk & Ellis, 2020). In der landwirtschaftlichen Sektion dieser Ausstellung präsentierten sowohl Hallett als auch Vilmorin auf eigenen Ständen die Ergebnisse ihrer Unternehmungen. Im Falle von Hallett bestand die Präsentation explizit und wohl ausschließlich in der Darstellung seines Pedigree-Weizens, bei dem er in jedem Jahr die Pflanzen mit den größten Ähren für die weitere Anzucht auswählte, wodurch sich so über mehrere Generationen größere Ähren erzielen ließen.

Weitere Entwicklung der Pflanzenzüchtung nach 1900

Nach der allgemeinen Verbreitung des Wissens über die Vererbungsregeln zu Beginn des 20. Jh. setzte eine Entwicklung der Pflanzenzüchtung v. a. bei landwirtschaftlichen und gärtnerischen Kulturpflanzen ein, die nun rasch zu verbesserten Sorten führte. Dies war auf die Kombination der traditionellen Methode der Auslese (Einzelpflanzenselektion mit individueller Nachkommenschaftsprüfung) mit der neu hinzugekommenen Kreuzungszüchtung zurückzuführen, wobei durch die Kenntnis der Vererbungsregeln das Verhalten von Merkmalen nach Kreuzungen vorhersagbar wurde. Später trat die Betrachtung einzelner mendelnder Merkmale in der Pflanzenzüchtung jedoch etwas in den Hintergrund, da die agronomisch und ökonomisch sehr wichtigen Charakteristika wie Kornertrag, Pflanzenlänge, Korngröße, Gehalt an Zucker, Öl, Protein oder anderen relevanten Inhaltsstoffen nicht alternativ, sondern zumeist kontinuierlich variierten, da sie einer polygenen Kontrolle und damit einer quantitativen Genetik unterlagen, in der Effekte einzelner Gene nur in Ausnahmefällen sichtbar sind. Auch wenn bereits R.A. Fisher diesen scheinbaren Gegensatz auflöste, indem er zeigte, wie eine größere Anzahl mendelnder Genloci in einem Merkmal zu quantitativer Variation führt, so dauerte es bis in die 1990er Jahre, bis man mittels genomischer Marker in ausreichender Dichte quantitative Merkmale durch einzelne mendelnde Faktoren (quantitative trait loci, QTL) erklären (Mackay & Anholt, 2022) und damit auch in der praktischen Pflanzenzüchtung selektieren konnte. Erhöht wird die Komplexität in der Ausprägung von Merkmalen nicht zuletzt auch dadurch, dass die Ausprägung vom Gen zum phänotypischen Merkmal über verschiedene Stufen der Transkription und Translation zum Protein sowie die intrinsische Regulation des Stoffwechsels, Feedbackkreisläufe und auch viele Umwelteinflüsse bestimmt wird und zugleich einzelne Merkmale durch eine Vielzahl von mitwirkenden Genen (polygen) bestimmt werden.

Von der grünen Revolution bis heute

Bis heute spielen zahlreiche mendelnde Faktoren eine große Rolle für die Ausprägung von Sorteneigenschaften. Schon die Gene der „Grünen Revolution“, die bei Weizen (Rht-Gene, dwarfing-genes) und Reis zu höheren Erträgen durch Kurzstrohigkeit führten (Hedden, 2003), stellen solche Faktoren dar, die funktional ähnlich dem von Mendel beschriebenen Merkmal der kurzen vs. langen Internodienlänge (Pflanzenhöhe) auf Gibberellinsäuresynthese-Mutationen beruhen. Auch die von Mendel beschriebenen terminal oder in Blattachseln ausgebildeten Blüten finden sich phänotypisch ähnlich in anderen Leguminosen wie Ackerbohne oder Sojabohne (indeterminierter vs. determinierter Wuchstyp), wo sie je nach Ausprägung agronomisch sehr bedeutende Sortenunterschiede bedingen. Neben morphologischen Merkmalen landwirtschaftlicher Kulturpflanzensorten (Begrannung, Blütenfarbe, Behaarung, Farbe der Samenschale und des Nabels, Blattform, Wuchstyp usw.) werden phänologische Merkmale (Zeitpunkt der Blüte, Reifezeit) und viele wichtige Resistenzeigenschaften gegen Pilzkrankheiten und Viren in den meisten Fällen ebenfalls monogen vererbt. Dies gilt auch für jene Faktoren, die die Qualität von Inhaltsstoffen betreffen: Bereits das von Mendel untersuchte Merkmal der Samenform der Erbse (rund vs. runzelig-kantig) ist nur vordergründig ein morphologisches Merkmal, geht jedoch auf Variationen im Gehalt an Amylose, Amylopektin und Zucker zurück, die durch ein Transposon in einem Stärkeverzweigungsgen verursacht werden (Bhattacharyya et al., 1990). Bei Ölpflanzen wie Raps, Senf, Sonnenblume, Erdnuss oder Sojabohne führen monogene Effekte zu drastischen Veränderungen der Ölqualität (Burton et al., 2004). Die für einen dominanten Erbgang typische 3:1-Aufspaltung in F2-Pflanzen zwischen hohem und niedrigem Ölsäuregehalt der Sonnenblume (Dehmer & Friedt, 1998) stellt ein typisches Beispiel aus diesem Bereich dar. Gehalte an zahlreichen ernährungsphysiologisch oder für die Lebensmittelsicherheit relevanten Inhaltsstoffen bei Getreiden, Leguminosen, Ölpflanzen und Gemüsearten (z. B. einzelne Proteine, Vitamine, Glukosinolate, Allergene, Geschmackstoffe, Mineralstoffe u. a.) folgen ebenfalls monogenen und damit mendelnden Erbgängen, auch wenn diese oft erst durch teils aufwendige biochemische Analysen oder genetische Marker offenbar werden.

Phänotypisierung heute

In den Ruhmesblättern der Wissenschaft wird Gregor Mendel oft als Vater der Genetik beschrieben. Letzteres ist nicht nur ein Anachronismus, sondern auch ein durchaus ökonomisches Problem, denn letztendlich ist es immer noch der Phänotyp, welchem die maßgebliche agronomische Bedeutung zukommt (vgl. Pieruschka & Poorter, 2012; Walter et al., 2015). Obwohl der Durchsatz von genetischen und molekularbiologischen Analysen und Genomsequenzierungen durch technische Innovation stetig erhöht worden ist, wurde die Hochskalierung der Phänotypisierung auf höheren Durchsatz und eine höhere Detailstufe in der Analyse lange stiefmütterlich behandelt. Die extreme Fokussierung auf den genetischen Blickwinkel sowie die technischen Limitierungen bei der Phänotypisierung haben dazu geführt, dass es heute immer noch eine sehr deutliche Lücke im Detailverständnis zwischen genomischen Eigenschaften (Genotyp) einerseits und der Ausprägung der pflanzenphysiologischen und agrarwissenschaftlichen Merkmale (Phänotyp) andererseits gibt, welche man zunehmend durch moderne Phenomics Ansätze zu schließen versucht (Fiorani & Schurr, 2013; Furbank, 2009; Furbank & Tester 2011; Großkinsky et al., 2015; Kumar et al., 2015. Siehe auch Pieruschka & Schurr, 2019). In den letzten zwei Jahrzehnten ist es daher zu einer wahren Explosion von neuen, insbesondere bildbasierten und nichtinvasiven Methoden der Phänotypisierung gekommen, wobei auch immer wieder neue Fragestellungen in den Fokus der Betrachtungen gerückt sind (Fiorani & Schurr, 2013; Tardieu et al., 2017; Walter et al., 2015). Letztendlich geht es bei allen diesen Entwicklungen nicht nur um den Phänotyp alleine, sondern um die kombinierte Betrachtung von Merkmalen unter verschiedenen Umweltbedingungen und vor verschiedenen genetischen Hintergründen. Insbesondere die Interaktion zwischen verschiedenen Umweltbedingungen und der Ausprägung des Phänotyps landwirtschaftlich relevanter Kulturpflanzen ist in diesem Kontext in vielerlei Hinsicht immer noch eine große Herausforderung. Mit der Hochdurchsatz-Phänotypisierung kehrt die Pflanzenphysiologie und damit auch die Pflanzenzüchtung letztendlich wieder zurück zu dem ursprünglichen holistischen Betrachtungswinkel aus Gregor Mendels eigenem Experiment, bei dem es ihm mit einem genialen Versuchsdesign gelang, die grundlegenden Regeln der Vererbung zu ermitteln, von denen es zwar viele Ausnahmen gibt (z. B. maternale Vererbung, plastidäre Vererbung, Epigenetik etc.), die in ihrer wesentlichen Logik aber bis heute gelten.

Literatur

Bayer, J.N. (1869). Botanisches Excursionsbuch für das Erzherzogthum Oersterreich ob und unter der Enns. Wien.
Bhattacharyya, M.K., A.M. Smith, T.H.N. Ellis, C. Hedley & C. Martin (1990). The wrinkled-seed character of pea described by Mendel is caused by a transposon-like insertion in a gene encoding starch-branching enzyme. Cell 60: 115–122.
Bowler, P. (1989). The Mendelian revolution. The Emergence of Hereditarian Concepts in Modern Science and Society. Athlone. London.
Burton, J.W., J.F. Miller, B.A. Vick, R. Scarth & C.C. Holbrook (2004). Altering fatty acid composition in oil seed crops. Adv. Agron. 84: 273–306.
Dehmer, K.J. & W. Friedt (1998). Development of molecular markers for high oleic acid content in sunflower (Helianthus annuus L.). Industrial Crops and Products 7: 311–315.
Fiorani, F. & U. Schurr (2013). Future scenarios for plant phenotyping. Annu. Rev. Plant Biol. 64(1), 267–291.
Focke, W.O. (1881). Die Pflanzen-Mischlinge – Beitrag zur Biologie der Gewächse. Borntraeger, Berlin.
Fruwirth, C. (1910). Die Entwicklung der Auslesevorgaenge bei den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. Fortschritte der Botanik 3: 25.
Furbank, R.T. (2009). Plant phenomics: from gene to form and function. Functional Plant Biology 36(10): 5–6.
Furbank, R.T. & M. Tester (2011). Phenomics – technologies relieve the phenotyping bottleneck. Trends in Plant Science 16: 635–44.
Gärtner, C.F.v. (1849). Versuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzenreich. K.F. Hering & Comp., Stuttgart.
Goldschmidt, R. (1922). Zwei Jahrzehnte Mendelismus. Naturwissenschaften 10/29: 631–635.
Großkinsky, D.K., J. Svensgaard, S. Christensen & T. Roitsch (2015). Plant phenomics and the need for physiological phenotyping across scales to narrow the genotype-to-phenotype knowledge gap. Journal of Experimental Botany 66(18): 5429–5440.
Hedden, P. (2003). The genes of the Green Revolution. Trends in Genetics 19: 5–9.
Hossfeld, U., M.V. Simunek & M. Mielewczik (2017). Die „Wiederentdeckung“ der Mendelschen Gesetze im Kontext neuer Forschungen. Nova Acta Leopoldina N.F. 413: 135–153. (Symposium 150 Jahre Mendelsche Regeln: Vom Erbsenzählen zum Gen-Editieren, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien, 17.–18. März 2016, Tagungsband, Herausgeber: G. Brem).
Iltis H (1924) Johann Gregor Mendel – Leben, Werk und Wirkung. Springer. Berlin.
Kumar, A., R.K. Pathak, S.M. Gupta, V.S. Gaur & D. Pandey (2015). Systems biology for smart crops and agricultural innovation: filling the gaps between genotype and phenotype for complex traits linked with robust agricultural productivity and sustainability. Omics: a Journal of Integrative Biology 19(10): 581–601.
Mackay, T.F.C. & R.R.H. Anholt (2022). Gregor Mendel's legacy in quantitative genetics. PLoS Biology 20 (7): e3001692.
Mendel G (1853) [Ueber Verwüstungen am Gartenrettich durch Raupen (Botys margaritalis)]. Verhandlungen des zool.-bot. Vereins in Wien 3: 116–118. (Sitzungsbericht).
Mendel, G. (1866). Versuche über Pflanzen-Hybriden. Verhandlungen des Naturforschenden Vereins in Brünn 4: 3–47 (Jahresband für 1865).
Mielewczik, M. (2017). Gregor Mendel as Entomologist – A Historiographical Reminiscence. Entomologie heute 29: 121–129.
Mielewczik, M., D.P. Francis, B. Studer, M.V. Simunek & U. Hossfeld (2017). Die Rezeption von Gregor Mendels Hybridisierungsversuchen im 19. Jahrhundert – Eine bio-bibliographische Studie. Nova Acta Leopoldina NF Nr. 413: 83–134. (Symposium 150 Jahre Mendelsche Regeln: Vom Erbsenzählen zum Gen-Editieren, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien, 17.–18. März 2016, Tagungsband, Herausgeber: G. Brem).
Mielewczik, M., J. Moll-Mielewczik, M.V. Simunek & U. Hossfeld (2022a). 200 Jahre Gregor Mendel. „Versuche über Pflanzen-Hybriden“ – neue Einsichten. Biospektrum 28(5): 565.
Mielewczik, M., M.V. Simunek & U. Hossfeld (2022b). Gregor Mendel. „Versuche über Pflanzen-Hybriden“. Klassische Texte der Wissenschaft. Springer Spektrum, Heidelberg (erscheint in Kürze).
Olby, R.C. & P. Gautrey (1968). Eleven references to Mendel before 1900. Annals of Science 24: 7–20.
Orel, V. (1966). Die Publizität der klassischen Arbeit Gregor Mendels vor der Wiederentdeckung im Jahre 1900. Folia Mendeliana 1: 23–31.
Pieruschka, R. & H. Poorter (2012). Phenotyping plants: genes, phenes and machines. Functional Plant Biology 39(11): 813–820.
Pieruschka, R. & Schurr, U. (2019). Plant Phenotyping: Past, Present, and Future. Plant Phenomics Article ID 7507131,
https://doi.org/10.34133/2019/7507131
Schulze, E. (2010). Ideengeschichte zur Vererbung bei Kulturpflanzen und Haustieren – Ein Beitrag zur Geschichte der landwirtschaftlichen Genetik und Agrargeschichte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der deutschsprachigen Literatur. Shaker Verlag, Aachen.
Simunek, M.V., M. Mielewczik, G.S. Levit & U. Hossfeld (2017a). Armin von Tschermak-Seysenegg (1870–1952): Physiologist and Co-‘Rediscoverer’ of Mendel’s laws. Theory in Biosciences 136(1): 59–67.
Simunek, M.V., U. Hossfeld & M. Mielewczik (2017b). „Parallel“ und „unabhängig“ – Erich von Tschermak-Seyseneggs Darstellung der „Wiederentdeckung“ der Mendelschen Gesetze. Nova Acta Leopoldina NF 413: 155–154.
(Symposium 150 Jahre Mendelsche Regeln: Vom Erbsenzählen zum Gen-Editieren, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien, 17.–18. März 2016, Tagungsband, Herausgeber: G. Brem).
Tardieu, F., L. Cabrera-Bosquet, T. Pridmore & M. Bennett (2017). Plant Phenomics, From Sensors to Knowledge. Current Biology 27: R770–R783.
Van Dijk, P.J., F.J. Weissing & T.H.N. Ellis (2018). How Mendel`s interest in inheritance grew out of plant improvement. Genetics 210: 347–355.
Van Dijk, P.J. & T.H.N. Ellis (2020). Mendel´s journey to Paris and London: Context and significance for the origin of Genetics. Folia Mendeliana 56/1–2: 5–33.
Vollmann, J. & H. Grausgruber (2017). Gregor Mendel und sein wissenschaftliches Umfeld: Von der Pflanzenzüchtung zur Genetik. Nova Acta Leopoldina NF Nr. 413: 51–64. (Symposium 150 Jahre Mendelsche Regeln: Vom Erbsenzählen zum Gen-Editieren, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien, 17.–18. März 2016, Tagungsband, Herausgeber: G. Brem).
Walter, A, F. Liebisch & A. Hund (2015). Plant phenotyping: from bean weighing to image analysis. Plant Methods 11: 14.
Weiling, F. (1966). J. G. Mendels „Versuche über die Pflanzen-Hybriden“ und ihre Würdigung in der Zeit bis zu ihrer Wiederentdeckung. Der Züchter 36: 273–282.
Wichura, M.E. (1865). Die Bastardbefruchtung im Pflanzenreich erläutert an den Bastarden der Weiden. Verlag von F. Morgenstern, Breslau.

zum Seitenanfang